Windräder Erwitte

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Windräder Erwitte

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Erstellt am 24 Dez 2022 | zuletzt bearbeitet vor 7 Monaten von Steffen

Nein – keine Sorge: Die vier Windräder in Erwitte sollen nicht dazu dienen, Statements zu Sinn und Unsinn dieser Art der Energiegewinnung abzugeben. Vielmehr möchte ich ein paar interessante Daten liefern und die Funktionsweise erläutern.

Zuerst eine Korrektur: „Windrad“ ist ein umgangssprachlicher Begriff, korrekt heißen diese Propeller „Windkraftanlage“ oder „Windenergieanlage“.

Inhaltsverzeichnis

Windräder Erwitte – Geschichte

Frühe Geschichte

Es gibt Quellen, die darauf deuten, dass die ersten Windmühlen bereits vor 4000 Jahren gebaut wurden. Gesichert ist das allerdings nicht.

Die Windmühlen in der uns heute bekannten Bauweise (wir reden noch nicht von den Windrädern) gibt es seit dem 12. Jahrhundert. Typischerweise waren es Bockwindmühlen, die drehbar waren, um sie nach der Windrichtung ausrichten zu können.

Der Name „Windmühle“ hat übrigens damit zu tun, dass diese Bauwerke dazu genutzt wurden, um Korn zu mahlen.

Später kamen die Holländerwindmühlen auf, bei denen sich nur der obere Teil drehen ließ, wobei das Gebäude als solches fest steht.

Windmühlen waren in Europa vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Europa sehr weit verbreitet.

Windkraftanlagen

Die Windkraftanlagen haben mit den Windmühlen gemeinsam, dass die kinetische Energie (Bewegungsenergie) des Windes genutzt wird. Der Unterschied besteht darin, dass Windmühlen diese in direkt nutzbare mechanische Energie umwandeln (Antrieb des Mahlwerks), wogegen die Windkraftanlagen elektrische Energie erzeugen.

Die erste Windkraftanlage gab es bereits 1887. Ja, das ist kein Tippfehler! Ein Schotte nutzte bereits im 19. Jahrhundert die Windkraft, um Akkus für sein Ferienhäuschen aufzuladen. Es gab weitere andere Windkraftanlagen in dieser Zeit, aber erst nach dem 2. Weltkrieg nahm die Forschung in diesem Bereich richtig Fahrt auf.

Die Ölkrise in den 70ern gab einen neuen Impuls, bis sich schließlich in den 80ern die heute bekannte Form mit drei Rotorblättern durchsetzte. 1983 errichtetet Deutschland in Schleswig-Holstein die erste Versuchsanlage mit einem Rotordurchmesser von 100 m und 3 MW (Megawatt) Leistung. Sie lief bis 1987. Diese Anlage lief schlecht, hatte nur zwei Rotorblätter und musste als Misserfolg eingestuft werden. Eine etwas kleinere Anlage mit nun drei Blättern lief dann besser. Allerdings setzte man immer noch auf das Lee-Prinzip. Das bedeutet, dass sich der Rotor in Windrichtung hinter dem Mast befindet. Die heutigen Anlagen sind Luv-Läufer.

1991 schließlich begann dank einer breit angelegten Förderung der „Boom“ der Windkraftanlagen.

Technik

Allgemein

Jeder von uns hat schon mal selbst eine kleine Windmühle aus Papier gebastelt. Nein? Dann gibt es hier eine Bastelanleitung.

Der Rotor (was für ein Wort für ein so kleines Stück Papier) muss so beschaffen sein, dass sich der Wind darin „fängt“ und es so in Drehung versetzten kann. Indem der Wind an den schrägen Flächen vorbeizieht, übt er eine Kraft auf das Papier aus, welche zu einem Drehmoment führt.

Das ist bei den modernen Anlagen etwas anders. Genutzt wird hier der Auftrieb.

Der Wind wird am Rotorblatt „aufgeteilt“. Der Weg oberhalb ist länger als unterhalb. Daher muss der Wind oben etwas schneller unterwegs sein (vo > vu). Oben entsteht deshalb ein Unterdruck. Das Rotorblatt wird in diese Richtung bewegt.

Die Rotorblätter sind drehbar. Diesen Vorgang nennt man „pitch“ vom englischen Wort für „stimmen“. Die Blätter werden durch Verdrehen auf die Windgeschwindigkeit abgestimmt. Der Anstellwinkel gegenüber dem Wind sorgt so dafür, dass die Anlage im Arbeitspunkt arbeitet. Wichtig ist dies vor allem dann, wenn sehr hohe Windgeschwindigkeiten zu einer zu hohen Drehzahl führen würden. In diesem Fall kann die Anlage ihre Rotorblätter in die „Fahnenstellung“ bringen. Die Anlage befindet sich im „Trudelbetrieb“ oder steht ganz still.

Da die Rotorblätter sehr schmal sind (wobei das relativ ist, wenn man die absoluten Zahlen betrachtet), müssen sie recht lang sein, um dem Wind genügend Angriffsfläche zu bieten. Die Anlagen müssen entsprechend hoch gebaut werden. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass die Windräder höheren Windgeschwindigkeiten ausgesetzt sind. Je weiter oben man ist, umso größer ist die Windgeschwindigkeit. Das leuchtet recht schnell ein, wenn man bedenkt, dass mit zunehmender Entfernung vom Erdboden die Zahl der Hindernisse, die sich dem Wind in den Weg stellen, abnimmt.

Trudelbetrieb

Übrigens kann eine Windkraftanlage auch bei Vereisung in den Trudelbetrieb umschalten, um Gefährdung durch herumfliegende Eisbrocken zu verhindern. Interne Sensoren erfassen Unwuchten oder eine Diskrepanz zwischen zu erwartender Drehzahl und der durch das Eis verminderten Drehzahl.

Auch zum Schutz von Vögeln in der Brutperiode oder zum Schutz der Anwohner (Schatten bei sehr tief stehender Sonne) können Windräder angehalten werden. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Lieferung und Abnahme nicht im Gleichgewicht sind. Der noch nicht abgeschlossene Netzausbau verursacht manchmal genau diese Schwierigkeit. Nicht zuletzt kann auch der Betreiber das Windrad abschalten, z. B. wenn der Marktpreis zu niedrig oder (ja, das gibt es) negativ ist.

Windgeschwindigkeit

Nehmen wir eine Windgeschwindigkeit in Kopfhöhe von 15 km/h an (Windstärke 3). Dann gilt näherungsweise:

  • v2 = v1 * (h2 / h1)g
  • v2 = 15 * (164 / 2)0,16 km/h
  • v2 = 30 km/h

Zur Erklärung:

  • Die Kopfhöhe habe ich näherungsweise mit 2 m festgelegt.
  • Die Nabenhöhe beträgt 164 m, was meine zweite Höhe ist.
  • Der Exponent g = 0,16 ist aus der Richtwerttabelle nach Kleemann und Meliß und berücksichtigt die Verhältnisse am Boden (hier: Ackerland ohne größere Hindernisse).

Die Windgeschwindigkeit verdoppelt sich in etwa. Zum Vergleich: Wäre die Anlage „nur“ 100 m hoch, läge der Faktor bei 1,87.

Die Anlage arbeitet ab 3 m/s Windgeschwindigkeit (s. u.). Das bedeutet, dass bereits eine Windgeschwindigkeit von 1,5 m/s (= 5,4 km/h, was Windstärke 1 entspricht, die man kaum wahrnimmt) am Boden ausreicht, um die Rotorblätter anzutreiben.

Hier gibt es die Möglichkeit, mit Zahlen zu experimentieren.

Sehr gut beobachtbar ist bei einer so großen Anlage (die Windräder Erwitte gehören zu den größten derzeit realisierbaren Anlagen), dass sich die Rotorblätter in Windrichtung verbiegen. Die Teile sind aus GFK (glafaserverstärkter Kunststoff) und dadurch sehr flexibel.

Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Windkraftanlage#/media/Datei:AufbauRotorblattWindkraftanlage.png

Aufbau

Im Maschinengehäuse befinden sich neben dem Generator meist ein Zahnradgetriebe, um die Drehzahl des Rotors zu einer höheren Drehzahl des Generators zu übersetzen sowie eine Mechanik, um die Gondel dem Wind nachzuführen. Das folgende Bild stammt von der Nordex-Webseite.

Windräder Erwitte – Zahlen, Zahlen, Zahlen…

Zunächst die Stammdaten:

  • Typ: Nordex Delta4000 N149/4.0-4.5
  • Rotordurchmesser: 149,1 m
  • Nabenhöhe: 164 m
  • Nennleistung (alle vier): 22,8 MW[1]
  • Min. – max. Windgeschwindigkeit: 3 m/s – 20 m/s (11 km/h – 72 km/h)
  • Generator: doppelt gespeist, asynchron
  • Antragstellung: April 2019
  • Inbetriebnahme: Dezember 2022

Damit ergeben sich weitere interessante Fakten:

  • Der Rotor überstreicht eine Fläche von 17 460 m2, was zum Beispiel ca. 2,5 Fußballfeldern entspricht.
  • Die Rotorblätter-Spitzen legen pro Umdrehung eine Strecke von 468 m zurück.
  • Bei einer Rotationsdauer zwischen 5 und 9 s (durch eigene Messung ermittelt) ergeben sich für die Flügelspitzen Rotationsgeschwindigkeiten zwischen 187 und 337 km/h.

[1] Damit lassen sich mehr als 13 000 Haushalte ein Jahr lang mit Energie (Strom) versorgen. Das entspricht 13 000 * 3500 kWh = 45 500 000 kWh = 45 500 MWh. Die Windräder müssten sich dazu ca. 2 000 Stunden pro Jahr (5,5 h täglich) bei optimalem Arbeitspunkt drehen. Berücksichtigt man Flauten, Abschaltungen und Phasen, in denen aufgrund geringerer Windstärken nicht optimal produziert wird, erscheint dieser Wert plausibel.

In Erwitte leben ca. 16 000 Menschen. Man nimmt pro Person etwa 1 300 kWh pro Jahr an. Damit benötigt Erwitte insgesamt 20 800 000 kWh = 20 800 MWh. Die Windräder Erwitte versorgen also die Stadt theoretisch vollständig (Zementwerke ausgeklammert, nur Privathaushalte). Die Rechnung geht natürlich nicht ganz auf, da der Wind nicht immer gleichmäßig weht. Kein Wind – kein Strom 😉

Energiemix Deutschland

Der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergiemix betrug 2021 ca 43%. Mehr als die Hälfte davon entfiel auf Windenergie. Die Windräder auf dem Festland haben insgesamt etwa 90 TWh[2] erzeugt.

Pro MWh konnte man 2021 durchschnittlich fast 100 € erhalten. Allerdings schwankt der Preis extrem. In 139 der insgesamt 8 760 h des Jahres war der Preis negativ (s. o.).

Demgegenüber stehen Kosten zwischen 770 und 1 030 € pro kW Leistung. Damit kommt man bei den vier Anlagen unter Annahme eines mittleren Preises von 900 €/kW auf insgesamt

22 800 kW * 900 €/kW = 20 520 000 €[3].

Hinzu kommen noch die regelmäßigen Betriebs- und Wartungskosten.

[2] 1 TWh = 1 000 GWh = 1 000 000 MWh
[3] Ich habe den Preis für die Windräder Erwitte geschätzt. Der tatsächliche Preis ist mir nicht bekannt.

Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Windkraftanlage

https://de.wikipedia.org/wiki/Windmühle

https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Windenergienutzung

https://www.wind-energie.de/themen/anlagentechnik/funktionsweise/leistungsbegrenzung/

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/windraeder-abgestellt-netzengpass-warum-100.html

https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/HandelundVertrieb/SMARD/Aktuelles/start.html

http://www.solar-und-windenergie.de/windenergie/kosten-und-bau-windkraftanlagen.html

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