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Erstellt am 24 Jan 2022 | zuletzt bearbeitet vor 1 Jahr von Steffen
„Da muss noch die Kondensatorkur gemacht werden.“ Diesen oder ähnliche Sätze liest man häufig in diversen Foren. Dann schauen wir uns das mal an…
Zunächst wende ich mich an meinen Arzt und die Krankenkasse. Ich will die Kur ja verschrieben haben und nicht selbst bezahlen. …und diese Kuren sind super: den ganzen Tag gibt es Kondensatorbrei, Kondensatorauflauf, Kondensatormüsli, Geschnetzeltes, erfrischende Kondensatorsäfte usw. Vielleicht ist dies auch etwas geeignetes für Vegetarier oder wie und wo auch immer man diese Kondensatordelikatessen einordnen kann. Sicherlich ist am Ende der Kur, aufgrund der geringen Kalorienbelastung mit einer Gewichtsreduzierung zu rechnen.
Bin zwar Privatpatient, aber das Formieren von gealterten Elektrolytkondensatoren ist m.E. eine anerkannte Standardheilanwendung.
Klaus aus dem RBF: https://radio-bastler.de/forum/showthread.php?tid=22635&pid=252112#pid252112
Das wachsbasierte Auskochen gealterter Papierwickelkondensatoren, wie auf ollistubes (youtube) zu sehen, ist eine nur eingeschränkt anerkannte Heilmethode, also nicht GKV, müsste eine Sonderleistung (IGeL) sein.
Dieses üble Unwort „Kondensatorkur“ zeugt in Fachkreisen von allgemeinem Unwissen, einer plan- und ziellosen Vorgehensweise, jeglicher Systematik entbehrend, einem Schuss aus der Schrotflinte. Man könnte da besser den Begriff Kondensatorinquisition gebrauchen.
Noch eine andere Sicht von mir bezüglich einer Kurvariante, falls das Gerät selbst in Kur war: Was, wenn das bedauerliche Gerät aus der Kur zurückkehrt und doch nicht funktioniert. Liegt es dann möglicherweise daran, dass es dort keinen heilsamen Kurschatten gefunden hat?
Fazit
Den Kondensatoren geht es nach einer Kondensatorkur nachweislich nicht besser. Ganz im Gegenteil. Sie werden zum alten Eisen geworfen, egal ob als gefährlicher Entstörkondensator, oder der Kollege, der am Lautstärkeregler den Klang geradebiegt, und noch nie einer Fliege ein Leid zugefügt hat, und das an seiner Position auch nicht kann.
Eine ernsthafte Betrachtung des Themas
Zunächst soll die Frage beantwortet werden, was ein Kondsator ist. Die physikalisch vorgebildeten können hier vieles dazu erfahren. Allen anderen will ich es in einfachen Worten erklären.
Ein Kondensator ist ein Ladungsspeicher im Gleichstromkreis. Er besteht aus zwei Elektroden, zwischen denen sich ein Dielektrikum befindet. Zwischen den Elektroden besteht, wenn der Kondensator aufgeladen ist, ein elektrisches Feld.
Di… was??? Ein Dielektrikum ist eine nahezu nichtleitende Substanz. Das „Di“ im Wort kommt vom griechischen „dia“ = „hindurch“, da das Dielektrikum vom elektrischen Feld durchdrungen wird.
Ich versuche es mal anhand eines Bildes etwas deutlicher zu machen.
In der Skizze sieht man zwei Platten, die einen Abstand zueinander haben. Alles dazwischen nennt man Dielektrikum ( in unserem Fall Luft). Schließt man eine Spannungsquelle an, so fließt kurzzeitig ein Strom, bis der Kondensator geladen ist. Jetzt existiert zwischen den Platten ein elektrisches Feld (dargestellt mittels der blauen Linien). Entfernt man die Spannungsquelle und schließt den Stromkreis über eine Widerstand (bei passender Größe des Kondensators z. B. eine Glühlampe), fließt erneut kurzzeitig ein Strom. Der Kondensator entlädt sich, die Glühlampe leuchtet kurz auf.
Diese Erklärung ist stark vereinfacht, zeigt aber das Grundprinzip.
Wichtig an dieser Stelle ist zu wissen, dass ein Kondensator nur beim Aufladen und Entladen das Fließen von Gleichströmen kurzzeitig zulässt. Gleichstrom kann nicht „hindurchfließen“. Einzige Ausnahme: Der Kondensator ist defekt und die Platten kommen irgendwie in Berührung zueinander. In diesem Beitrag kann man gut sehen, wie so etwas aussehen kann.
Technischer Bezug zur „Kondensatorkur“
Eines vorab: Ab jetzt benutzen wir dieses Unwort nie wieder!
In der technischen Umsetzung sind die Platten leitfähige Folien und das Dielektrikum eine nicht-leitfähige Folie dazwischen. Die Abstände sind sehr klein. Eine zu hohe Spannung könnte bereits einen Durchschlag erzeugen. Vielleicht nur an einer kleinen Stelle, so dass es erst gar nicht auffällt. Auch die natürliche Alterung sorgt dafür, dass insbesondere die Folien des Dielektrikums kaputt gehen.
Im folgenden Video wird ein Kondensator selbst gebaut. Gut zu sehen ist, wie die o. g. Folien angeordnet sind.
In den Röhrenradios gibt es beispielsweise Koppelkondensatoren, die das Fließen von Gleichströmen verhindern sollen, damit die Röhren sauber arbeiten können. Die Wechselströme hingegen (Musik und Sprache wird in einem Radio als Wechselstrom übertragen) sollen „weitergeleitet“ werden. Für diese Art von Strömen ist ein Kondensator durchlässig. Warum das so ist, erkläre ich in einem späteren Beitrag.
Bemerkung: Ich versuche, die Begriffe Spannung und Strom sauber zu trennen. Eine Spannung liegt an und ist quasi der Antrieb des elektrischen Stromes. Ein Strom fließt, solange der zugehörige Stromkreis geschlossen ist.
Hier noch ein Auszug aus einem Schaltplan:
Rot ist der Signalweg vom Vorverstärker über die Endstufe zum Lautsprecher. Grün eingekreist ist ein Koppelkondensator, der bei ganz vielen Radios dieser Zeit zwischen der Anode des Vorverstärkers (Triode der EABC80) und dem Gitter 1 der Endpentode (EL41) liegt.
One thought on “Kondensatorkur”